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Andrea Köhn / Gisela Wäschle
Feldforschungen und Vermessungstechniken

 

Erst such dir einen Gefährten,
dann erst begib dich auf die Reise!
(Chinesisches Sprichwort)
Seit drei Jahren realisieren die Bielefelder Künstlerinnen Andrea Köhn und Gisela Wäschle neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit gemeinsame künstlerische Projekte. Wohin die gemeinsame Reise geht, ist nicht festgelegt. Fest steht aber, dass Teilabschnitte auf dieser Reise gemeinsam zurückgelegt werden. Und so wird auch die Wahrnehmung der Gemeinsamkeit logischerweise zum verbindenden Element der

einzelnen Projekte. Vielleicht kann man die entstandenen Arbeiten durchaus als Spuren sehen, die entstehen, wenn auf einer künstlerischen Landkarte weiße Flecken umspielt und erobert werden. Das Arbeiten im Spiegel der jeweils anderen Künstlerin, die Möglichkeit, von sich selbst Abstand zu nehmen, die Frage nach den spezifischen Bedingungen der Kommunikation bei der gemeinsamen Arbeit, das gemeinsame Interesse am Prozess und die Fähigkeit, einen offenen Ausgang nicht als Bedrohung, sondern als Stimulus wahrzunehmen, sind die Grundkoordinaten dieser künstlerisch-freundschaftlichen Weltvermessung.
Gemeinsam Raum nehmen
Das erste Projekt der beiden war ein  Mobile für das Heizkraftwerk der Stadtwerke Bielefeld. Größe des Raums, Schwere der vorhandenen Maschinen und die Geräuschkulisse waren starke Vorgaben und dominierten den Raum. Die Künstlerinnen entschlossen sich, der Schwere mit materialer Leichtigkeit zu begegnen und schufen ein Mobile, das den Raum nach oben hin öffnete. Monochrome Stoffgebilde aus Organza, bewegten sich über den lauten Maschinen und schienen die Energien durch Luftströmungen aufzugreifen und in eine poetische, aber dennoch „greifbare" Sprache zu übersetzen. Das technische Zusammenspiel, mit leichtem Material paraphrasiert, zeigt, dass in den Momenten, wenn ein Ganzes über die Summe seiner Einzelteile hinausgeht, ästhetische Energie freigesetzt wird.
Gemeinsam Pfade finden
Die Arbeit „Gastspiel", das zweite gemeinsame Projekt von Gisela Wäschle und

Andrea Köhn, besteht aus zwei zwanzig  Meter langen Papierbahnen, die beidseitig mit überbordenden, wasserabweisenden Acryl--Farbschichten überzogen sind. Im Rahmen des Projekts „Freiluft", das zu experimentellen Formen von Kunst im öffentlichen Bielefelder Raum einlädt, wurde dieser geradezu sprichwörtliche gemeinsame künstlerische „Pfad" im Wiesenbachpark installiert und entfaltete dort sein Potential als ein Weg, der Spur und Aufforderung zugleich ist. Kein zentrales Bild, das es in den

Punkten Aufbau, Struktur und Komposition zu erfassen gilt, sondern ein Bild, das auf Aufbau, Struktur und Komposition der Umgebung verweist. Er umspielt die Natur, löst sich durch die Installation in Büschen und Wipfeln von der materiellen Logik herkömmlicher Wege und verweist wieder auf die Kraft künstlerischen Denkens. Die Arbeit bricht die Dichotomie von Natur und Kultur auf und führt die (eitle) Vorstellung klischeehaft-intrinsischer Kunstproduktion ad absurdum. Kunst ist auf vielen Ebenen ein gemeinsamer Weg, „künstlerisches Pfadfindertum" darum eine adäquate Arbeitsmethode für Köhn und Wäschle. Dass diese Methode auch im Galerieraum funktioniert, wurde unter Beweis gestellt, als diese Papierbahnen in den kleinen Räumlichkeiten der Bielefelder Produzentengalerie untergebracht waren und die malerischen Pfade auf den Bahnen von den Besuchern aus dem Außenraum mithilfe von

Lichtspots nachvollzogen werden konnten.  So entstand eine für  das Publikum und die Künstlerinnen fruchtbare, kommunikative Situation.
Gemeinsam Brücken bauen
Die neueste gemeinsame Arbeit mit dem Titel „Zwischen-Brücke" wurde im Bereich

einer alten Eisenbahnbrücke, einem „Unort", wie es die Künstlerinnen nennen, installiert. Auch hier wird wieder ein Spiel mit den architektonischen Vorgaben begonnen. Stabilität, die Grundvoraussetzung einer Brücke, um ihrer Aufgabe, zwei Punkte miteinander zu verbinden, erfüllen zu können, wird von Köhn und Wäschle von ihrer rein physikalischen Dimension abgelöst. Aus  Funktionsgewebe als Ausgangsmaterial ließen die beiden Künstlerinnen eine Brückenkonstruktion entstehen, die dem Betrachter zunächst Stabilität vermittelte. Bei der Annäherung an das Objekt und durch die Wahrnehmung der spezifischen Materialität wurde dieser Eindruck wieder zurückgenommen. Da die Stoffbahnen jedoch wiederum mit fiktiven Formeln und Konstruktionsberechnungen versehen waren, bekam die Stabilität wieder etwas verunsichernd Glaubwürdiges. Das Interessante dieser Setzungen war die Konfrontation des Publikums mit der Unzuverlässigkeit der eigenen Wahrnehmung – oder anders gesagt: Damit, dass auch Wissenschaftlichkeit ästhetisch erfahren werden kann und somit im Umkehrschluss auch ästhetische Forschungen Anspruch auf Erkenntnisgewinn erheben dürfen.
Die gemeinsame Arbeit von Andrea Köhn und Gisela Wäschle ist hier sicher nicht abgeschlossen. Die Tatsache, dass die Beschäftigung mit ästhetischer Kommunikation beinahe mühelos zu Ergebnissen führt, die für beide Künstlerinnen und ihr Publikum spannungsreiche Ergebnisse zutage fördern, wird von beiden wie eine Kompassnadel empfunden, die schon ungefähr den Weg in zukünftige Projekte weist. Nach der Reflexion der ersten drei Projekte  werden die Erfahrungen der bisherigen Gemeinschaftsarbeiten aktuell auf einer realen Reise nutzbar gemacht.   Die beiden „Reiseabschnittsgefährtinnen" beschreiten damit die nächste Stufe ihres künstlerischen Austauschs.

Daniel Neugebauer, 2011